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Deutsch-Französische Freiwillige Caro an ihrem Schreibtisch in Besacon
16.03.2021 · Allgemein ·

Als alles begann: Ein deutsch-französischer ReiseberichtVor einem Jahr verließ Caroline wegen Corona ihre neue Wahlheimat Frankreich

Von: Caroline Schöne / Caroline machte vom 1. September 2019 bis 31. August 2020 ihren Deutsch-Französischen Freiwilligendienst (DFFD) in der Maison de l’Europe en Bourgogne-Franche-Comté in Besançon, unweit der Schweizer Grenze. Das Maison de l’Europe ist ein Informations- und Dokumentationszentrum für europäische Fragen. An zwei Standorten, in Besançon und in Dijon, werden Informations- und Bildungsveranstaltungen sowie Fortbildungen zum Thema Europäische Union durchgeführt. Ursprünglich kommt Caroline aus Bielefeld und ist für ihren Freiwilligendienst umgezogen. Anfang März hat das Corona-Virus, wie bei so vielen anderen Menschen auch, ihr Leben und ihren neuen Alltag ganz schön auf den Kopf gestellt. Hier berichtet sie selbst von ihrer Reise zurück nach Deutschland – vor einem Jahr am 16. März.

Am Samstag, den 13. März kehrte ich von einem Seminar mit meiner Einsatzstelle in Metz zurück, das unerwarteter, aber glücklicherweise im Gegensatz zu allen anderen Aktivitäten und Veranstaltungen nicht abgesagt worden war. Die Schulen waren bereits geschlossen, Freizeitaktivitäten stark eingeschränkt und unsere Arbeitstätigkeit quasi lahm gelegt worden. Bis dato hatte ich mir immer eingeredet, es handele sich nur um Einzelfälle, dieses Virus aus China war für mich eine ganz entfernte und abstrakte Angelegenheit gewesen. Das hatte sich aber in den letzten 2 Tagen schlagartig geändert. Ich verabschiedete mich also – wie sich herausstellen sollte zum letzten Mal – von meinen Kolleg*innen und fuhr nach Hause. Am Abend fühlte ich mich nicht gut. Ein merkwürdiges Gefühl begleitete mich. Angst hatte ich, aber wovor? Meiner Mutter schrieb ich: „Ich fühle mich irgendwie nicht mehr sicher hier… Hab die ganze Zeit Angst, dass ‘Corona’ von hinten ankommt und mich auffrisst“. Total absurd. Es war wohl einfach die allgemein bedrückende Situation, die doch irgendwie besorgniserregender war, als man es sich eingestehen wollte. Und es sollte alles noch viel schlimmer werden.

Wahlzettel für die französische KommunalwahlAm Sonntag startete ich mit einem ausgiebigen Frühstück entspannt in den Tag. Es sollte mein letzter Tag in Frankreich werden. Davon ahnte ich aber noch nichts. An diesem Tag waren Wahlen in Frankreich, Kommunalwahlen. Sie wurden tatsächlich durchgeführt, unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Als EU-Bürgerin durfte ich mitwählen. Schon vor Wochen hatte ich mich voller Vorfreude auf meine allererste Wahl im Rathaus in die Listen eintragen lassen. Wenn ich doch nur wüsste, wen ich überhaupt wählen sollte… So vertiefte ich mich in die Wahlprogramme. Zwischendurch warf ich einen Blick auf mein Handy. „EILMELDUNG“, stand es dort in Großbuchstaben, „Deutschland schließt Grenzen zu Frankreich“. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich?! Der Ort, an dem ich so oft vorbeigefahren war? Da war doch eigentlich gar keine richtige Grenze! Und die sollte nun also geschlossen werden? Für mich unvorstellbar. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Mit zitternden Fingern wählte ich die Nummer meiner Eltern. Sie hatten es auch schon gelesen. „Die können mich hier doch nicht einsperren“, schluchzte ich völlig aufgelöst ins Telefon. Meine Eltern versuchten, mich zu beruhigen. „Die sperren dich nicht ein. Und als Deutsche kommst du immer noch nach Deutschland rein“. Verzweifelt suchte ich im Internet nach Informationen, aber ich fand nichts. Auch meine Koordinatorin vom Kulturbüro rief ich an, die mich ebenfalls beruhigte. Wählen ging ich natürlich trotzdem noch. Wieder zurück zu Hause wollte ich zu Abend essen, aber Appetit hatte ich nicht so wirklich. Kurze Zeit später erhielt ich eine Nachricht. Mein Chef hatte eine WhatsApp-Gruppe mit all meinen Kolleg*innen erstellt: „Die Regierung scheint Maßnahmen für ein ‘confinement total’ vorzubereiten“. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Tausende Fragen schossen mir in den Kopf: Was bedeutet das? Ich suchte nach der Bedeutung des Wortes im Internet. Anscheinend hieß es wirklich „totale Ausgangssperre“, daran bestand kaum ein Zweifel. Heißt das wirklich, dass ich meine Wohnung gar nicht mehr verlassen darf? Wie sollte das denn gehen, ganz alleine auf meinen paar Quadratmetern? Das hatte mir gerade noch gefehlt! Ich will nach Hause! Aber Moment. Wollte ich wirklich sofort fahren? Ich konnte doch nicht einfach so aufbrechen, so ganz unvorbereitet. Sollte ich nicht doch lieber noch einen Tag warten? Nein, sagte ich mir, nein, das geht nicht. Vielleicht ist es dann zu spät. Was, wenn keine Züge mehr fahren? Aus Spaß googelte ich, wie lange man von mir bis zur Grenze zu Fuß braucht. Aber ob ich dann überhaupt rüber gelassen würde? Ab wann soll das denn gelten? Tritt es sofort in Kraft, wenn es verkündet wird? Soll das heute Abend noch passieren? Ich malte mir die unterschiedlichsten Szenarien aus. Es fühlte sich alles an wie ein einziger Alptraum. Alleine gefangen in einer kleinen Wohnung und in einem fremden Land, auf das ich mich doch so sehr gefreut hatte. Es wäre mir niemals auch nur im Ansatz in den Sinn gekommen, dass so etwas überhaupt möglich wäre in der heutigen Zeit. Vor 100 Jahren, im Krieg, ja, vielleicht (Wenn man jetzt beachtet, dass Macron einen Tag später von „Nous sommes en guerre/Wir sind im Krieg“ sprach…). Aber doch nicht hier und jetzt. Es ging alles so schnell. Vor ein paar Tagen war die Welt noch vollkommen in Ordnung gewesen. Und jetzt das?! Ich war komplett überfordert. Und so tippte ich eine Nachricht an meinen Chef. „Wir müssen abwarten“, antwortete er. Nach einigem Hin und Her kam spät abends die erlösende Nachricht, ich dürfe schon am Montag zurückfahren. Puh. Na dann: Packen… Für wie lange eigentlich? Zwei Wochen? Vier Wochen? Zwei Monate? Etwa für immer??? Nein, das darf nicht sein! Parallel tauschte ich mich mit den anderen Freiwilligen aus. Die einen wollten lieber da bleiben, einige wussten es noch nicht, die anderen waren ähnlich verzweifelt wie ich. Und, ach ja, ich buchte einen Zug. 80 Euro. Egal, koste es, was es wolle.

Der nächste Morgen. Montag, der 16. März 2020. Mein Wecker klingelte extra früh, schließlich war noch Einiges zu erledigen. Zu Ende packen und nochmal schnell ins Büro, um mir meine Dokumente für das Homeoffice auf einen Stick zu ziehen. Also hetzte ich ins Büro und wieder zurück. Unterwegs machte ich noch schnell ein Foto von einem meiner Lieblingsorte in meiner neuen französischen Heimat. Ein Ort, an dem ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit vorbei gegangen war. Hach, ich würde diese wunderschöne Stadt schon vermissen… Schöne Aussicht in BesanconHoffentlich käme ich bald wieder zurück! Schließlich verließ ich mein Zimmer in einem Zustand, in dem es vorher noch nie gewesen war. Überall lagen meine Sachen verteilt. Es sah ein bisschen nach Flucht aus. Ich schmunzelte. Na ja, ist es ja auch irgendwie. Flucht vor einem dämlichen Virus, das mein ganzes Leben auf den Kopf stellen sollte. Ganz knapp erwischte ich die Tram, die mich zum Bahnhof bringen sollte. Sie war keine zwei Meter gefahren, da hielt sie schon wieder an. Es kam eine Durchsage: Technische Panne. „Wir bitten Sie um Ihre Geduld“. Genau das konnte ich jetzt gut gebrauchen! Ich sah meinen Zug nach Deutschland schon wegfahren. Mit hochrotem Kopf und keuchend kam ich einige Minuten später am Bahnhof an. Der Zug fuhr in sieben Minuten. Ein Glück, geschafft!! Ich warf einen letzten Blick auf meine neue Heimat, die mir in den letzten Monaten sehr ans Herz gewachsen war. Sollte jetzt alles vorbei sein? Ich konnte mir gar nicht vorstellen, erst in ungewisser Zeit wieder hier zu sein.

Der Zug setzte sich in Bewegung und rollte los. Erschöpft ließ ich mich in meinen Sitz fallen und machte mich breit. Ich war am Ende meiner Kräfte, die Ereignisse hatten sich in den letzten Tagen mehr als nur überschlagen. Ich beantwortete sämtliche Nachrichten auf meinem Handy, wozu ich am Vortag einfach nicht mehr gekommen war. Den Pulli hatte ich mir hoch ins Gesicht gezogen. Sicher ist sicher. Immer mehr näherten wir uns der deutsch-französischen Grenze. Wie es da wohl aussehen würde? Die Grenze war schon seit 8 Uhr heute morgen zu. Passkontrollen waren angekündigt.  Inzwischen war ich mir sicher, dass ich rüber kommen würde. Aufgeregt war ich trotzdem. Wir fuhren in den Bahnhof in Straßburg ein. Alles war wie immer. Passagiere stiegen ein und aus. Dann würden die Kontrollen wohl noch kommen, dachte ich, wahrscheinlich in Kehl, das liegt direkt hinter der Grenze. Gespannt guckte ich zum Fenster raus, als sich der Zug wieder in Bewegung setzte. Dann kam sie, die Grenze, wir fuhren über den Rhein. Dieses Motiv hatte ich schon so oft fotografiert in den letzten Monaten. deutsch-französische Grenze am RheinDiesmal war alles anders. Kurz danach hielten wir wie erwartet in Kehl. Ich konnte meinen Augen kaum trauen: Am Gleis verteilt standen Polizist*innen. Mindestens 50 an der Zahl. In Uniform. Mit Atemmaske. Bewaffnet!!! So ein Bild, an einer innereuropäischen Grenze. Nein, nicht nur an irgendeiner Grenze. An der Grenze, die ich schon so oft überquert hatte, die die beiden Länder miteinander verband, die mir am meisten am Herzen lagen. Ich konnte es nicht fassen. Ich war doch kein international gesuchter Schwerverbrecher, ich war einfach ein ganz normales junges Mädchen, das zu ihrer Familie fahren wollte! Nein, irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht! Aber gut, was muss, das muss. So angsteinflößend, wie das Bild auch gewesen sein mag, ich hatte ja nichts zu befürchten. Mulmig war mir dennoch. Es kam eine Durchsage. Letztes Mal hatte der Zugführer noch Späße gemacht, hatte fröhlich die Wetterlage verkündet. Diesmal nichts dergleichen. Eine ernste Stimme erhob sich. Kontrollen, Symptome, Corona, … . Polizist auf dem Gleis bei der GrenzkontrolleDie Polizist*innen stiegen in unseren Zug ein. Zwei von ihnen betraten den Raum, in dem ich saß. Sie ließen sich Ausweise zeigen. Ich war eine der ersten. Ich drückte dem Polizisten meinen Personalausweis in die Hand. Er nuschelte irgendetwas in seine Maske hinein, das sich so anhörte wie „nach Hause?“. Ich antwortete mit einem knappen „ja“. Er gab mir meinen Ausweis zurück und ließ mich in Ruhe. Puh, geschafft! So lief das bei 80% meiner Mitreisenden ab. Alles junge Leute, Deutsche, wahrscheinlich zum Großteil Studierende oder Freiwillige wie ich, die nach Hause wollten. Von überall kamen sie, ich hörte Lyon, Marseille, Avignon, Aix-en-Provence. Da wollte ich doch auch überall noch hin! Ob daraus noch etwas würde? Jetzt erst einmal wollte ich aber nur eins: nach Hause. In meinem Abteil wurde niemand herausgeschickt, aber ich sah eine ganze Menge Leute am Gleis, die wohl keinen Grund hatten, nach Deutschland einzureisen. Nach ca. 40 Minuten setzte sich unser Zug wieder in Bewegung. Ich atmete erleichtert auf. Ich hatte es geschafft, ich war in Deutschland! Nie im Leben hätte ich mir eine solche Situation an dieser Grenze vorstellen können. Es war für mich das Selbstverständlichste der Welt, gerade hier einfach rüber fahren zu können, so wie ich von Bayern nach Baden-Württemberg fahre. Weitere Schwierigkeiten bei meiner Reise blieben mir zum Glück erspart. Bei einigen meiner Mit-Freiwilligen, die sich erst einen Tag später auf den Weg gemacht hatten, sah es dagegen ganz anders aus: Von verspäteten Zügen über verpasste Anschlüsse bis hin zu komplett ausgefallenen Zügen war alles dabei. Nicht zu vergessen natürlich die „attestation de déplacement“ (eine Art Passierschein, den man mit sich führen musste, sobald man das Haus verlassen hat), die man ab Dienstag, 12 Uhr, in Frankreich in Folge der Ausgangssperre mit sich führen musste. Ein Glück, dass ich schon durch war! Gespannt fieberte ich mit den Anderen mit und drückte alle Daumen, die ich hatte. Hoffentlich schafften sie es auch noch!! Schlussendlich fanden wir aber alle den Weg nach Deutschland, wenn auch zum Teil nicht so wie geplant.

Am Zielort angekommen, den wir erstaunlicherweise ohne Verspätung erreichten, stellte ich mich auf den Bahnhofsvorplatz und wartete auf meine Familie. Diesen Ort kannte ich doch schon, hier hatten wir doch unser allererstes Seminar gehabt. Hier hatte vor ziemlich genau einem halben Jahr alles angefangen. Sollte hier jetzt auch alles  enden? Ganz, ganz schnell verdrängte ich diesen Gedanken wieder. Das darf nicht sein und das wird auch nicht sein! Da bog auch schon das Auto meiner Eltern um die Ecke. Meine Mutter stieg aus. Ich nahm sie in dem Arm und drückte ihr mein Gepäck in die Hand. Ich wollte Hände waschen, das hatte ich an dem Tag ja noch nicht oft genug gemacht. Der Zugtoilette, die ich sonst nie aufsuche, hatte ich wohl mindestens drei Mal einen Besuch abgestattet, jeweils ohne den Türgriff oder sonst irgendetwas zu berühren. Als ich von meiner Hände-Säuberungsaktion auf der Toilette eines Fast-Food-Restaurants im Bahnhof zurückkehrte, standen mein Vater, meine Schwester und unser Hund neben meiner Mutter. Meinen Vater umarmte ich nur vorsichtig, wir waren uns nicht sicher, ob er nicht vielleicht zur Risikogruppe gehörte. Überschwängliche Begrüßungen wie bei unseren sonstigen Treffen während meines Freiwilligendienstes blieben also aus. Es war alles anders. Wie es wohl weitergehen würde, für mich, für meine Mit-Freiwilligen, für uns alle? Niemand wusste es.

Seitdem ist einige Zeit vergangen und ich konnte Ende Juni – also nach guten 3 Monaten – nochmal zurück nach Besançon fahren, um meinen Freiwilligendienst dort fortzusetzen. Wir hatten sogar nochmal ein richtiges, wenn auch kürzeres, Seminar und ich durfte noch 2 schöne Sommermonate in Frankreich verbringen, wo ich die Gelegenheit genutzt habe, noch so viel wie corona-bedingt möglich vom Land zu entdecken.

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Der Deutsch-Französische Freiwilligendienst Kultur beginnt jährlich am 1. September. Informationen über Einsatzstellen und Bewerbung gibt es auf der Seite dffd-kultur.de.

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