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17.09.2019 · Allgemein ·

Städtereisen im FSJ – ein Einblick in fremde KulturenWie Weird Walks zu alternativen City Guides werden

„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.“

Schon Alexander von Humboldt hat begriffen: Den Horizont zu erweitern bildet. Und öffnet die Augen für andere Menschen und Kulturen. Wir tun es ihm also nach und reisen mit Gruppen des FSJ Kultur, FSJ Politik und FSJ Ganztagsschule an Orte, die wir noch nicht kennen. Das setzt den Bildungskonzepten unserer Seminare noch ein Krönchen auf, denn hier werden interkulturelle Beziehungen geknüpft und damit der Fremdenfeindlichkeit entgegen gewirkt – hier gibt es außerdem (inter-)kulturelle Bildung, hier finden und festigen sich Persönlichkeiten und schließlich wächst hier die Seminargruppe zusammen.

Video der Städtereise nach Warschau, erstellt von Jonas, einem Freiwilligen im FSJ Kultur 2018/2019

Gruppenfoto vor ihrem Hostel in Antwerpen

Ziele sind, aufgrund der Vielfalt von geballtem Kulturprogramm, häufig die Kulturhauptstädte Europas. Dabei waren bereits Aarhus, Marseille, Maribor, San Sebastian, Mons, Leeuwarden, das Ruhrgebiet und Linz. In manchen Jahren sind die Kulturhauptstädte jedoch mit großen Gruppen schlicht zu schwer zu erreichen, wie zum Beispiel in diesem Jahr Matera in Süditalien und Plowdiw in Bulgarien. Daher gingen die Reisen dieses Jahr für zwei Gruppen nach Warschau, für zwei weitere Gruppen nach Antwerpen und für eine kleine Gruppe nach Prag.

Fokus der Städtereisen, ganz unabhängig vom Ziel, liegt dabei immer auf dem authentischen Erlebnis der fremden Stadt und der anderen Kultur – besonders durch Angebote abseits des touristischen „Mainstreams“, die einem das echte Leben und die Kultur in dieser Stadt und diesem Land näher bringen.

Für viele unserer Freiwilligen ist es die erste große Stadt, in der sie sich zurechtfinden müssen, die Sprachbarrieren überwinden, Geld wechseln – und dann stellen sie sich ein Programm aus von uns organisierten Angeboten zusammen. Das sind zum Beispiel Gespräche oder Workshops mit lokalen Künstler*innen, wie zum Beispiel Kasia in Warschau, bei der wir den traditionellen White Voice Gesang erlernten. Das sind aber auch Besuche von Kultureinrichtungen mit besonderem Augenmerk, wie zum Beispiel ein Fotoworkshop zur digitalen Fotografie des FOMU (Foto-Museum) in Antwerpen.

Zeichenworkshop in Warschau

Außerdem besuchen wir häufig Orte der alternativen Kulturszene, wie zum Beispiel den Cross-Club in Prag, der als Multikulturelles Zentrum verschiedenste Kulturen und Genres präsentiert. Für selbst gestaltetes Programm sind auf jeder unserer Reisen inspirierende Hefte dabei, die Einzel-Erlebnistouren zu bestimmten Themen beinhalten. Die sogenannten Weird Walks.

Wie lernt man eine Stadt am besten kennen? Es sind meist Begegnungen mit Menschen, Momente des Innehaltens und Nachdenkens und die Zeit für‘s Kreative, die eine Stadterkundung besonders machen. Die Weird Walks kombinieren diese Aspekte und sind ein fester Bestandteil des Programms bei unseren Städtereisen im FSJ. Die thematischen Spaziergänge werden von uns in liebevoller Kleinstarbeit entwickelt und sollen den Freiwilligen die Möglichkeit bieten, Land und Leute kennenzulernen und besser zu verstehen. In Eigenregie folgen sie dann den Stationen aus den Heften, können selbst entscheiden, wo sie wie lange Zeit verbringen und auf welche der Stationen Sie den Fokus legen. Das öffnet den Blick für eine fremde Stadt viel weiter, als das langsame Hinterherschlendern bei angeleiteten Touren.

Blick in die Installation “Brown Nosing” von David Cerny in Prag

In Prag waren es Menschen, die in der Stadt ihren (künstlerischen) Fußabdruck hinterlassen haben, zu denen wir die Weird Walks konzipierten. Wir begaben uns mit dem Weird Walk “David Cerny – Der böse Bube der tschechischen Kunst” unter anderem auf die Spuren des Bildhauers, der mit seiner Kunst immer wieder für Aufsehen und meist ungewöhnlich produktive Kontroversen sorgt. Mit einem Weird Walk Heftchen ausgestattet suchten wir verschiedene Skulpturen, lasen etwas über die Kunstwerke und wurden selbst produktiv – so zum Beispiel bei der Arbeitsanweisung „Was würde man in einem von dir kreierten Arsch sehen? Zeichne es!“ Dieser etwas ungewöhnliche Auftrag bezog sich auf die Installation von Cerny mit Namen „Brown Nosing“, bei der man seinen Kopf in den Hintern zweier Figuren steckt. Eine darin angebrachte Videoinstallation zeigt Milan Knizak (Direktor der Prager Nationalgallerie) und den ehemaligen tschechischen Präsident Vaclaw Klaus, wie sie sich gegenseitig mit Mist füttern. Weniger provokativ, dafür sehr musikalisch, ging es bei einem anderen Weird Walk „Dvorak & Smetana – eine Anthologie von Klängen“ zu. Der Spaziergang führte vorbei an Wirkungs- und Inspirationsstätten der beiden hoch geschätzten Musiker, die weltbekannte Melodien hervorbrachten. Ausgestattet mit Kopfhörern konnte man so auch mal eine ruhige Minute auf der sehr belebten Karlsbrücke verbringen und sich von Bedrich Smetanas Stück „Die Moldau“ berieseln lassen.

Gruppenfoto vor einer Comic-Wand in Antwerpen

Comics gehören zu Belgiens Kultur, genau wie Pralinen und Bier. Bei unserer Städtereise nach Antwerpen gestalteten wir den “Comics & Diamond Walk” passend zum Thema, der uns durch verschiedene Stadtteile von Antwerpen führte. Wir lernten das Antwerpener Projekt „Muurvaast“ kennen, welches heruntergekommene, graue Wände und Mauern in der Stadt durch Kunstwerke im Comic-Stil verschönert. Jede Comicwand erzählt ihre eigene Geschichte, passend zu dem Ort, an dem sie zu finden ist. Wir bewegten uns abseits des touristischen Zentrums und ganz nach der Devise „einfach mal drauf losgehen und treiben lassen“ entdeckten wir nebenbei noch viele weitere kleine Highlights. So zum Beispiel eine außergewöhnliche Kirche im Modeviertel Sint-Andries, in der die Madonna von einer Modedesignerin zeitgemäß eingekleidet wurde und ein Crosstrainer mit angeschraubtem Bildschirm zum Pilgern einlud.

Milchbar in Warschau

“Wer Polen kennenlernen will, muss in Milchbars gehen!” Diesen Satz nahmen wir zum Anlass für einen unserer Weird Walks in der polnischen Hauptstadt Warschau. Unter dem Motto „Milchbars – ein Relikt aus sozialisitscher Zeit“ kundschafteten wir eine Route von Milchbar zu Milchbar aus und stellten je Milchbar verschiedene Aufgaben – z.B. „Bestellt euch eine Portion Pierogi! Genießt die polnische Spezialität und versucht das Rezept für die Pierogi beim Küchenchef/Küchenchefin herauszubekommen. Notiert es!“ Bei einem weiteren Weird Walk zum Thema „Warschauer Parks – Grüne Idylle in der Metropole“ entfernten wir uns aus dem belebten Zentrum und schlenderten durch einige der vielen schönen und abwechslungsreichen Parks. Einige zeichneten im Skulpturenpark, andere verweilten auf einer Bank und beobachteten das wahre Stadtleben der Warschauer, wieder andere unterhielten sich mit Einheimischen und versuchten polnisch zu lernen.

Mit einer Mischung aus Hintergrundwissen zur Stadtgeschichte, Aufgaben, die zum Nachdenken anregen, zum Kreativwerden animieren und unsere Freiwilligen einladen, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen, bereicherten die Weird Walks jede unserer Städtereisen. Wir freuen uns auf die Reisen im nächsten Jahr!

von: Annika Esser und Tina Winkel, Koordinatorinnen im FSJ Kultur

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