Was passiert, wenn in einer Bahnhofshalle eine Gruppe von jungen Menschen zusammensteht? Höchst wahrscheinlich nichts. Dass Menschengruppen dort stehen und warten, ist so natürlich und selbstverständlich, wie Bücher in einer Buchhandlung zu finden. Etwas anders entwickelt sich die Situation, wenn man nicht einfach herumsteht, sondern mit Lastenfahrrädern eine Wagenburg baut und ein Picknick veranstaltet. So geschehen im Hamburger Hauptbahnhof während Bildungstagen im FSJ Kultur zum Thema ‚Recht auf Stadt‘. Recht auf Stadt, das hört man immer wieder in den letzten Jahren. Aber was genau ist Recht auf Stadt? Wer hat Recht auf Stadt? Habe ich vielleicht auch ein Recht auf meine Stadt?
Recht auf Stadt? Was hat es damit auf sich?
Die Industrialisierung und die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg haben dazu geführt, dass ein Großteil der Gesellschaft in Städten lebt. Wer mit offenen Augen durch eine Großstadt geht, erkennt Entwicklungen, die uns zwar vertraut und scheinbar normal vorkommen, die aber große Probleme hervorrufen. Steigende Mieten und vermehrte Bürogebäude im innerstädtischen Bereich, sowie Konzentration der Einkaufsmöglichkeiten im Stadtzentrum. Oft beobachtet man auch über Jahre, dass Wohnhäuser oder ganze Straßenzüge dem Verfall preisgegeben werden, um sie dann zu renovieren und zu Luxusimmobilien umzubauen, die sich dann ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr leisten können und abwandern in zentrumsfernere, weil billigere Stadtviertel. Ganze Stadtteile haben so schon den Wandel von der fragwürdigen Wohngegend hin zum Szeneviertel gemacht. Dies nennt man Gentrifizierung.
Ein weiteres Phänomen, über das man in Großstädten immer wieder stolpert, ist die Privatisierung des öffentlichen Raums. Kommunen haben im Vergleich der letzten Jahrzehnte immer weniger Geld und müssen sich Alternativen überlegen, damit das Stadtbild nicht verwahrlost. Oftmals treten dann private Investoren auf den Plan, die der Stadt anbieten den Platz zu gestalten. Diese Neugestaltung erfolgt dann aber nicht mehr nach den Bedürfnissen der Bürger sondern nach marktpsychologischen Kriterien, indem bspw. der Besucherstrom durch direkte Wegweiser oder indirekte Pflasterung in Einkaufspassagen gelenkt werden soll. Bänke oder Grünflächen, die Bürger selbst- und nicht konsumbestimmt nutzen können, sucht man dann vergebens.
Diesen beiden Trends möchte die Bewegung Recht auf Stadt entgegenwirken.
Als Gentrifizierung (engl. gentry [dʒɛntri] „niederer Adel“), auch Gentrifikation, bezeichnet man den sozioökonomischen Strukturwandel bestimmter großstädtischer Viertel im Sinne einer Abwanderung ärmerer und eines Zuzugs wohlhabenderer Bevölkerungsgruppen. Parallel dazu steigen die Wohnpreise. (Quelle: Wikipedia)
Wie kann man dem entgegenwirken?
Sich einfach mal gegen dieses gesteuert-Werden auflehnen und sich ein Stück an der Stadt, ein Stück Recht auf Stadt zurücknehmen, war das Anliegen der Bildungstage mit unseren Freiwilligen. Es ging nicht darum, sich aufzulehnen. Vielmehr wollten wir unsere FSJler sensibilisieren, im eigenen, städtischen Alltag nicht jede Fremdbestimmung zu akzeptieren.
Hierfür lernten sie während der Tage in Hamburg Projekte kennen und beteiligten sich z.T an ihnen, die sich seit Langem schon mit dem Thema Recht auf Stadt beschäftigen, wie bspw. die Rote Flora, die Hafenstraße oder das Gängeviertel. In letzterem haben unsere Freiwillige während der fünf Tage auch gewohnt. Anders als in den Medien oft dargestellt, handelt es sich nicht um Punks und Herumtreiber, die hier Häuser besetzt haben, um sich auf Kosten anderer zu leben. Das wäre zu einfach, das Phänomen darauf zu reduzieren. Was als Protest gegen den Abriss alter Gebäude begann, ist heute zu einem alternativen Wohnkonzept geworden: Mittlerweile hat sich eine eingetragene Genossenschaft gegründet, die das Gängeviertel erhalt und verwalten möchte und jeder, der dort lebt, seine monatliche Miete nach seinen persönlichen finanziellen Mitteln selbst bestimmen kann.
Neben dem Kennenlernen bestehender Projekte, ging es auch darum durch sog. Interventionen privatisierten öffentlichen Raum zurückzuerobern – wenn auch nur für einen kurzen Moment. Was passiert, wenn man im eigentlich vordefinierten Benutzerstrom plötzlich als Gruppe im Kreis läuft und den Strom aus Menschen behindert? Welche Erfahrungen sammelt man, wenn man mit großen Lastenfahrrädern sich auf das Abenteuer Großstadtverkehr einlässt?
Recht auf Stadt im Bahnhof
Eines dieser Abenteuer war die Wagenburg im Hamburger Hauptbahnhof. Wie ging die Geschichte denn nun weiter? Passanten sind einfach um die Gruppe herumgegangen. Einige haben sich gewundert, wirklich gestört fühlte sich aber niemand. Bis schließlich ein Angestellter der Sicherheitsfirma kam und die Gruppe Freiwillige mit der Begründung verscheuchen wollte, sie stünden im Weg und es sei schließlich Privatgrund, auf dem sie sich befänden. Unbeeindruckt von seinem Autoritätsgebaren, blieb unsere Gruppe, wo sie war. Der zu Hilfe gerufene Security-Kollege, mit dessen Hilfe nun eigentlich die Vertreibung der Querdenker durchgesetzte werden solle, erkannte aber die Notwendigkeit und vor allem die angebliche Störung nicht. Unsere Wagenburg aus Lastenfahrrädern blieb also wieder, wo sie war.
Wie unsere Freiwilligen ihr Recht auf Stadt erfahren und was sie noch alles in Hamburg erlebt haben, könnt ihr hier auf die Ohren bekommen. Diese Berichte stammen aus einer Radiosendung, die unsere FSJler beim Freien Sender Kombinat in Hamburg zum Thema Recht auf Stadt produziert haben.
01 -Recht auf Stadt
02 – Interventionen
03 – Eindrücke aus Hamburg
04 – Persönliche Eindrücke
05 – Persönliche Eindrücke 2
06 – Hausbesetzung
07 – Künstler und Gentrifizierung
08 – Hamburg vs. Mainz
09 – Denkanstoß
10 – Quedenkertext
11 – Lass dir nicht deine Freiheit nehmen