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10.08.2016 · Allgemein ·

Nicht nur an Leserinnen und Leser…

An wen richtet man eigentlich einen Text, wenn man ganz selbstverständlich Anreden wie Mitarbeiter, Kollege oder Krankenschwester verwenden? Auch wenn die Frage simple klingt, kann man sie nicht so einfach abtun. Was ist denn mit den Mitarbeiterinnen, den Kolleginnen oder den Pflegern – meinen wir die einfach mit?

Wer diese Frage ernst nimmt und ganz ehrlich ist, muss feststellen, dass diese Personen von uns nicht bewusst mitgemeint werden – sie werden also in unsere Sprachhandlung nicht eingeschlossen. Auch wenn das nicht-Einschließen unbewusst stattfindet, ist es dennoch eine Form von Ausgrenzung,  also Diskriminierung.

In unser täglichen Arbeit im Kulturbüro haben wir mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun: Menschen jeden Alters, Menschen mit Behinderung, FSJlerinnen und FSJler, Geflüchtete, Kunst- und Kulturschaffenden, Ansprechpartner in Einsatzstellen, Männer, Frauen und Menschen, die sich keiner Geschlechtsidentität zugehörig fühlen, und noch vielen weitern, die ich hier alle vergessen habe. Keinen Menschen möchten wir in unserer Arbeit sprachlich diskriminieren, weshalb wir uns intern zusammengesetzt und überlegt haben, wie wir dies verhindern können.

Diese als Genderdebatte bekannte Auseinandersetzung  mit Sprache und Ansprache ist sicher ein richtiger und notwendiger Schritt, er wirft aber neue Probleme auf: Wie grenze ich möglichst niemanden aus, erhalte aber eine Lesbarkeit des Textes? Eines ist klar: Je mehr geschlechtsspezifische Nomen oder Formen man nennt, umso komplizierter wird der Text, egal ob man explizite Ansprachen (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) oder einen Unterstrich (‚_‘), einen Schrägstrich (‚/‘) oder die viel beschworene Binnenversalie (MitarbeiterInnen) verwendet. Es fällt einfach schwer, die Kernaussage eines Satzes oder Textes zu erfassen, weil durch umständliches Gendern von dieser abgelenkt wird.

Ein Beispiel für einen komplizierten Satz haben wir mal aus unserem Giftschrank gekramt:

„Sie haben eine_n FSJler_in, die_der medienaffin ist und eventuell ein eigenes Projekt im Rahmen ihres_seines FSJ durchführen möchte oder ihren Mitarbeiter_inne_n unter die Arme greifen soll? Dann sprechen Sie sie_ihn doch auf das #FSJ_digital an:“

Das muss auch anders gehen, haben wir uns gedacht, und uns mit der grundsätzlichen Thematik des Genderns auseinandergesetzt. Allen Augenrollern und Zweiflern, ob wir denn nichts Besseres zu tun hätten, als einem Trend aufzuspringen, möchten wir an dieser Stelle entgegen, dass wir Integration und Inklusion auf allen Ebenen für sehr wichtig halten und ernst nehmen. Dennoch halten wir in einem Satz oder Text die Sprachhandlung auf einer Sachebene für wichtiger, als jeden explizit anzusprechen. Zumal das Beispiel gezeigt hat, wie unleserlich ein Satz werden kann.

Verzichteten wir aber auf eine der beiden geschlechtsspezifischen Anreden würde dies auch wieder eine Diskriminierung bedeuten und einen Rückfall in die ausgehenden 90er und beginnenden 2000er Jahre, als Fußnoten quer durch Publikationen darauf hinwiesen, dass nur die männliche Form eines Substantivs verwendet werde, um die Lesbarkeit zu erhalten. Zum Glück aber sind diese Zeiten vorbei!

Setzte man sich mit diskriminierungssensiblen Schreibweisen und Ansprachen auseinander, darf man nicht den Fehler machen, sich von der tradierten, binären  Geschlechteraufteilung leiten zu lassen. Um es mal frei nach Shakespeare zu formulieren, sollte sich aber eine Gesellschaft öffnen für die Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich ihre Schulweisheiten (noch) nicht träumen lässt. Für die Geschlechterfrage bedeutet dies, offen sein für Themen wie Transgender-Identitäten oder intergeschlechtliche Menschen. All diese Menschen sprachlich nicht auszugrenzen, birgt dann das Dilemma, in dem wir stecken, wenn wir Texte formulieren.

Aus diesem herauszukommen, war am Ende gar nicht so schwer. „Warum wechseln wir nicht einfach männliche und weibliche Schreibweise ab?“, meinte ein Kollege bei einer Diskussion. Gesagt, getan! Die ersten Texte waren schnell geändert. Und das Genus der Nomen wechselte konsequent ab – mit der Einschränkung, dass es syntaktisch korrekt ist. Dort, wo ein Pronomen auf ein vorhergehendes Substantiv referiert, muss es natürlich dessen Genus annehmen: „Der FSJler, die ein Projekt organisiert, ist fleißig“, wäre schlicht falsch.

Um den Leser nicht ratlos stehen zu lassen und gleichzeitig auf die Problematik einer diskriminierenden Sprache hinzuweisen, setzen wir nun immer eine Fußnote unter unsere Texte und das Beispiel oben sieht nun in unseren Flyern so aus:

Liebe*r Leser*in

„Sie haben eine FSJlerin, die medienaffin ist und eventuell ein eigenes Projekt im Rahmen ihres FSJ durchführen möchte oder ihren Mitarbeitern unter die Arme greifen soll? Dann sprechen Sie sie doch auf das #FSJ_digital an:“

*Um die Lesbarkeit der Texte zu verbessern, verzichten wir auf die Schreibweise mit _ oder *, sondern wechseln im Sinne des Gender-Mainstreamings weibliche und männliche Formen ab, und wünschen uns, dass sich dabei Menschen aller Geschlechtsidentitäten angesprochen fühlen.

Für uns war es ein längerer Prozess, mit vielen Diskussionen – teilweise ruhig, teilweise auch hitzig. Abgeschlossen ist dieser Prozess sicher noch nicht, denn so, wie sich eine Gesellschaft verändert, verändert sich deren Sprache auch. Für den Moment haben wir aber einen Kompromiss gefunden, mit dem wir zufrieden sind.

Wie steht Ihr denn zum Thema Gendern und welche Meinung habt Ihr zu unserer Lösung? Gerne möchten wir mit Euch ins Gespräch kommen: hier oder auf Facebook.

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