Ein freundliches Gesicht blickt mich an, als sich die Tür des Lehrerzimmers öffnet und ich eintrat. Ich war mit Serkan Özkan zu einem Interview verabredet. Stephan Bock, mein Kollege, hatte mir den Tipp gegeben, mich bei Serkan zu melden. Welche seltsamen Fügungen das Leben manchmal bereithält, hatten beide gemerkt, als sie sich bei einer Veranstaltung zu unserem Programm ‚Generation K – Kultur trifft Schule‘ wiedertrafen, nachdem zehn Jahre vorher beide schon einmal als FSJler und FSJ-Koordinator aufeinandergetroffen waren.
Serkan Özkan war vor zehn Jahren ein typischer junger Mann, der nach dem Abitur erst einmal nicht so genau wusste, was er eigentlich werden wollte. Seinen ursprünglichen Wunsch, Polizist zu werden, konnte er leider nicht realisieren. Da stolperte er über einen Zeitungsartikel, der ihn auf die Möglichkeit des Freiwilligen Sozialen Jahres aufmerksam machte. Nach der Schule etwas Soziales zu machen, reizte ihn. Rückblickend wollte er damals für sich herausfinden, ob ein Beruf im sozialen Umfeld etwas für ihn sein könnte. Also bewarb er sich und wurde einer von 70 Freiwilligen des Kulturbüros, die im zweiten Jahrgang, in dem es das FSJ Ganztagsschule überhaupt gab, Schule von der anderen Seite erleben konnten.
Lehrer zu werden, schloss Serkan eigentlich für sich von vornherein aus. Auch wenn ihm das FSJ großen Spaß gemacht hat, änderte es nichts an seinem Berufsziel – vorerst. Erst nachdem ein Studium der allgemeinen Pädagogik und Berufspädagogik kurz vor dem Bachelor-Abschluss stand und eine Entscheidung hermusste, was danach kommen sollte, regten sich Zweifel, ob er nicht doch zwei unterrichtstaugliche Fächer im Anschluss studieren sollte. Mathematik und Erdkunde waren die Fächer der Wahl. „In den Praktika während des Studiums habe ich dann gemerkt, dass es mir großen Spaß macht, vor einer Klasse zu stehen und etwas zu erklären und zu sehen, dass Schüler ein Erfolgserlebnis haben“ fasst Serkan Özkan dann seine Abzweigung im Lebensweg zusammen. Gerade die Kombination aus den freieren pädagogischen Inhalten und den strukturierten Inhalten der Unterrichtsfächer macht für ihn den Reiz des Lehrerseins aus.
Auch wenn Serkan bei der Entscheidung, ein FSJ zu leisten, mit äußeren Widerständen zu kämpfen hatte und er sich mit Fragen, wieso er denn ein FSJ mache und was es ihm bringen würde, konfrontiert wurde, war es für ihn damals wichtig, seine Interessen herauszufinden. Heute sagt er von sich, komme ihm sein Lebensweg zugute. In seinem Alltag an einer Realschule plus hat er täglich mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die orientierungslos sind, weil oft persönliche oder familiäre Hindernisse im Weg stehen. Mit der Erfahrung der eigenen Orientierungssuche kann Serkan seinen Schülerinnen und Schülern viel besser mit Rat und Tat zur Seite stehen und sie ermutigen, erst einmal etwas auszuprobieren und zu schauen, wo die Erfahrungen einen dann hinführen.
Diese Erfahrung können sie seit Neustem auch im Unterricht machen. Seit dem Schuljahr 2017/18 nimmt seine Schule, die Goethe-Realschule plus in Koblenz am rheinland-pfälzischen Modellprojekt ‚Generation K – Kultur trifft Schule‘ teil, bei dem sie auf dem Weg zu einem eigenen Kulturkonzept beraten wird, um künstlerische und ästhetische Lernwege und Gestaltungselemente in möglichst allen Unterrichtsfächern einzusetzen. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet das, dass stundenweise LTTA-Künstlerinnen und -Künstler den Fachunterricht begleiten. LTTA steht für learning through the arts. Das Konzept stammt aus Kanada und wird dort seit Jahren in der Schule eingesetzt, um Kernfächer wie Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen kreativ umzugestalten.
Auch Serkans Schülerinnen und Schüler haben miterlebt, wie ihr Unterricht kreativ umgestaltet wurde, als nämlich der Satz des Pythagoras auf dem Lehrplan stand. Sie konnten sich erst nicht erklären, was die szenischen Anleitungen der LTTA-Künstlerin Nicole Heidel mit Mathematik zu tun haben sollten. Nach und nach fiel dann aber der sprichwörtliche Groschen und es fiel ihnen einfacher, von dem Erlebten zurück zu Pythagoras‘ Flächeninhaltsberechnung von Hypotenusenquadraten rechtwinkliger Dreiecke zu abstrahieren. Dass sich der Lernerfolg nicht nur kurzfristig in der Stunde einstellt, konnte Serkan durch die Arbeit zum Thema belegen.
Persönliche Umwege ergeben für andere oftmals keinen Sinn. Warum man den Satz des Pythagoras nicht einfach erklären kann, wird ein Außenstehender möglicherweise genauso wenig nachvollziehen können, wie die Entscheidung eines jungen Erwachsenen, der nach dem Schulabschluss ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten möchte. Das Wichtigste ist, dass am Ende für den Betroffenen oder die Betroffene ein Mehrwert oder eine Erkenntnis herauskommt. Zu wissen, was man mit seinem Leben anfangen möchte oder eben nicht anfangen möchte, hilft, den richtigen Lebensweg einzuschlagen, auch wenn Entscheidungen später überdacht und anders getroffen werden. Der direkte Lebensweg ist eben doch kurvig.